„Digitale Erschöpfung“: Neue EuGH-Vorlage aus den Niederlanden

Software unterliegt dem Erschöpfungsgrundsatz. In der Rechtssache C-128/11 urteilte der Europäische Gerichtshof bereits im Juli 2012, dass mit Gebrauchtsoftware gehandelt werden darf – wenn bestimmte „Spielregeln“ eingehalten werden. Der Erschöpfungsgrundsatz besagt, dass Schutzrechte an Software, die der Erschöpfung unterliegen, sich in der Regel verbrauchen, sobald der geschützte Gegenstand erstmalig in Verkehr gebracht wurde. Das bedeutet, dass Software weiterverkauft werden darf. Dieses Grundsatzurteil ebnete dem Gebrauchtsoftware-Handel den Weg in die absolute Rechtssicherheit.

Hörbücher und E-Books – gilt der Erschöpfungsgrundsatz?

Doch wie sieht es mit digitalen Produkten aus? Das OLG Hamm entschied Mitte Mai 2014, dass für Hörbücher keine Erschöpfung eintritt (OLG Hamm, Urteil vom. 15.05.2014, Az. 22 U 60/13). Zum selben Schluss kam das OLG einige Monate später in Bezug auf E-Books (OLG Hamburg, Hinweisbeschluss vom 04.12.2014, Az. 10 U 5/11). Bei digitaler Software sieht es wiederum anders aus. Hier entschied der EuGH, dass diese Software ebenfalls gebraucht gehandelt werden darf. Allerdings ist dabei u.a. ein Nachweis für den Rechteerwerb innerhalb der Europäischen Union erforderlich. Es muss bewiesen werden können, dass die Software ausschließlich beim neuen Lizenznehmer in Betrieb ist. Das geschieht in der Praxis über eine Löschungserklärung.

Niederländisches Gericht bereitet Fragenkatalog für EuGH vor

Auf EU-Ebene steht eine Klärung des Sachverhalts in Bezug auf E-Books noch aus. In den Niederlanden ist seit mehreren Jahren ein Rechtsstreit zwischen Verlagen und der Gebraucht-E-Book-Plattform „Tom Kabinet“ im Gange. Auf „Tom Kabinet“ werden gebrauchte E-Books zu Preisen ab zwei Euro (zzgl. Gebühren) angeboten. Die „Rechtbank Den Haag“ hat mehrere Vorlagefragen für den EuGH formuliert, welcher diesem vorgelegt werden soll. Sobald die beiden Parteien Stellung zur Sache bezogen haben. Die Frist verstreicht zum 30. August 2017. Der anschließend endgültig formulierte Fragekatalog wird dann dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt.

Gebrauchtsoftware: So hält die Ware einem Lizenz-Audit stand

Viele Gebrauchtsoftware-Händler handeln nur mit physischer Ware mit Original-Lieferumfang. Ausnahmen bilden Lizenzübertragungen, die durch den Händler bei den Herstellern direkt vorgenommen werden – etwa bei gebrauchten Autodesk- oder Dassault Systèmes-Lizenzen. Die Ware wird immer in dem Lieferumfang weiterverkauft, in dem sie ursprünglich erworben wurde. Produktverpackung, evtl. vorhandener Datenträger, Echtheitszertifikate und Packungsbeilagen werden gemeinsam per Post verschickt. Seriöse Händler nehmen Abstand von physischen Artikeln, die sich nicht mehr im ursprünglichen Lieferumfang befinden – etwa, wenn ein ursprünglich beigelegter Datenträger fehlt. Solche Verkäufe entsprechen nicht den Standards, die der EuGH definiert hat. Auch Lizenzen, die ausschließlich über digitale Vertriebswege bezogen werden (z.B. „ESD-Lizenzen“) dürfen gehandelt werden, hier gilt eine verschärfte Sorgfaltspflicht: Der Händler muss darauf achten, dass ein Nachweis für den Rechteerwerb innerhalb der EU vorliegt und die Software ausschließlich beim neuen Lizenznehmer in Betrieb ist (Löschungserklärung, ggf. Nachweis der Lizenzkette). Dann hält auch digital vertriebene Software einem Lizenz-Audit stand. Bei physischer Software ist es ausreichend, wenn die Ware komplett ist und auch so versandt wird. Vorsicht vor unseriösen Angeboten bei Auktionsplattformen im Internet, wo Händler die Nachweise für digital vertriebene Software nicht erbringen können oder nicht komplette Software-Pakete anbieten – hierbei handelt es sich nicht um eine ordentliche Lizenz!

Erschöpfungsgrundsatz: OEM-Software auf Computern von Fremdherstellern nutzen

Bild: Windows 8 64-Bit OEM
Bild: Windows 8 64-Bit OEM

Unser Support-Team erhält regelmäßige Anfragen zum Thema OEM-Software. Meist herrscht Unsicherheit darüber, ob OEM-Software, die über einen Erstausrüster in Verbindung mit einem neuen Computer in Vertrieb gebracht und gelabelt wurde, auch auf anderen Computern verwendet werden können. In diesem Blogbeitrag möchten wir Klarheit schaffen und den Erschöpfungsgrundsatz behandeln, welcher bezüglich dieser Fragestellung Rechtssicherheit schafft.

BGH-Urteil vom 6. Juli 2000 (Az. I ZR 244/97)

Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6. Juli 2000 setzt sich unter anderem mit dem sogenannten Erschöpfungsgrundsatz auseinander. Dieser besagt, dass es Händlern in Deutschland erlaubt ist, OEM-Software zu verkaufen, ohne dass eine Bindung an Hardware erfolgen muss. Gleiches gilt auch für System-Builder-Versionen, sofern nicht von einem Microsoft-Vertragspartner erworben. Im Klartext bedeutet dies: KäuferInnen dürfen OEM- und System-Builder-Software legal erwerben und nutzen. Auch wenn die Software von einem PC-Hersteller gelabelt wurde, also beispielsweise Firmen- oder Markenlogos trägt, darf die Software auch auf Computern anderer Hersteller oder bei Selbstbau-PCs genutzt werden. Schließlich besagt der Erschöpfungsgrundsatz, dass der Hersteller nach der ersten Veräußerung der Software die „Herrschaft über das Werksexemplar aufgibt“. Dadurch „wird das Werkstück für jede Weiterverbreitung frei“. Weitergehend wird das Urteil folgend begründet: „Könnte der Rechtsinhaber, wenn er das Werkstück verkauft oder seine Zustimmung zur Veräußerung gegeben hat, noch in den weiteren Vertrieb des Werkstücks eingreifen, ihn untersagen oder von Bedingungen abhängig machen, so wäre dadurch der freie Warenverkehr in unerträglicher Weise behindert.“

Vollständige Rechtssicherheit bei Gebrauchtsoftware

KäuferInnen dürfen also OEM- und System-Builder-Software verwenden. Achten Sie beim Kauf darauf, dass alle Begleitmaterialien im Lieferumfang enthalten sind. Das ist insbesondere bei Lizenz-Audits vorteilhaft und schützt vor unliebsamen Konsequenzen wie teuren Nachlizenzierungen. OEM- und System-Builder-Software sind günstige Möglichkeiten, Software günstig und rechtssicher zu beziehen.

Az.: 6 W 42/16 – OLG Frankfurt am Main: Unbenutzter Produktschlüssel darf verkauft werden

Ein nicht aktivierter Lizenzschlüssel einer Software darf verkauft werden, und zwar unabhängig von der Rechtslage zu Gebrauchtsoftware.